Augenoptikermeisterin Nora Nechad
HwK Koblenz
Augenoptikermeisterin Nora Nechad in ihrem Geschäft "Optik Schofer" in der Ahrweiler Altstadt. Noch laufen hier die Trocknungsgeräte. Bereits einen Monat nach der Flut war sie in einem Ausweichgeschäft wieder für ihre Kunden da. Am "alten" Standort möchte sie festhalten.

17.02.20022 - Umfrage bei betroffenen Ahr-HandwerkernWiederaufbau zu 20 Prozent geschafft

Sieben Monate nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal ergibt eine Umfrage bei 50 betroffenen Handwerksunternehmen zum Stand ihres Wiederaufbaus: Auf einer Skala von Null (Situation unmittelbar nach der Flut) und 100 (Stand bis zur Katastrophe) ist bislang ein Durchschnittswert von 20 erreicht. Das entspricht einem Fünftel der ehemals betriebsinternen Wirtschafts- und Fertigungsleistungen.

Alle befragten Handwerksbetriebe haben die Arbeit wieder aufgenommen, auch wenn bei einigen aufgrund hoher Schäden bei den Fertigungsmaschinen die Kapazitäten noch weit entfernt sind vom ehemaligen Auslastungsstand. Für viele betroffene Unternehmen ist es ein Kraftakt, denn sie sind zeitgleich auf drei Großbaustellen unterwegs: die Abwicklung der Kundenaufträge, der eigene betriebliche Wiederaufbau und die private Schadensregulierung samt Sanierung müssen unter einen Hut gebracht werden. Das gilt für die selbstständigen Handwerksmeister wie auch viele Mitarbeiter. „Zu tun gibt es mehr als genug. Die große Herausforderung liegt in der Organisation üblicher Arbeitsabläufe und neuer, flutgeschuldeter Herausforderungen wie auch Neubeschaffung ausgefallener Baugeräte“, äußern Alfred und Gerd Fuhrmann vom gleichnamigen Straßenbauunternehmen aus Dümpelfeld. Sechs Baumaschinen und Bagger hat die Flut mitgerissen.

Viele Handwerker berichten über eine Extrembelastung - mental wie auch körperlich. Das seit Monaten laufende Krisenmanagement des Ahr-Handwerks hat entsprechend einige wichtige Punkte zunächst hintenangestellt. Das zeigen auch die aktuellen Zahlen der eingereichten Anträge für Wiederaufbauhilfen von Bund und Land. 585 Handwerksunternehmen sind vom Hochwasser betroffen, von denen allerdings erst 90 bei der Handwerkskammer (HwK) Koblenz eine sogenannte „Kammerbestätigung“ beantragt haben. Diese ist Voraussetzung für die Einreichung des Antrags zur Aufbauhilfe für Unternehmen, die durch die Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz bearbeitet wird. Rund 20 Handwerksbetriebe haben bisher vollständige Anträge vorgelegt, die in den meisten Fällen bereits ausgezahlt wurden.

Dabei stellt weniger das Antragsverfahren ein Problem dar, sondern die zeitliche Belastung der Unternehmen wie auch die Suche von fachlich geeigneten Sachverständigen zur Bewertung der Schäden. Die Handwerkskammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin: das Internetportal „www.handwerk-baut-auf.de“ hilft auch hier weiter. Die Rubrik „Sachverständige“ nennt aktuell 27 Ansprechpartner. Ganz wichtig auch: die Antragstellung für die Aufbauhilfen endet im Juni 2023! „Je früher ein Antrag eingereicht wird, je schneller kann er bearbeitet werden und fließen die Gelder“, macht HwK-Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich deutlich. Zusammen mit Präsident Kurt Krautscheid leitet er die im Ahrtal 14-tägig stattfindenden Jour-Fix-Runden aus Krisenstäben, Handwerks- sowie Helferorganisationen und Landes- und Kommunalvertretern. „Werden die Anträge kurz vor Fristende eingereicht, ist mit längeren Bearbeitungszeiten zu rechnen. Das wollen wir unbedingt verhindern und bieten unseren Betrieben aktive Unterstützung an.“

Umfrage bei betroffenen Ahr-Handwerkern

Die Abfrage unter 50 Handwerksbetrieben ergab auch, dass Elementarversicherungen für Hochwasserschäden in nur wenigen Fällen (zwei Betriebe) vorlagen. Die materiellen Schäden werden mit rund 500.000 Euro je Unternehmen beziffert. In Einzelfällen kann das aber deutlich mehr sein und die Zweimillionen-Euro-Grenze überschreiten – wenn hochwertige Fertigungsmaschinen zerstört wurden, so in Steinmetz- oder Tischlerbetrieben.

Versorgungsgewerke wie Bäcker oder Fleischer, gerade im oberen Ahrtal, müssen zudem auf einen völligen Strukturwandel reagieren. In vielen Ortschaften sind aufgrund der laufenden Trocknungs- und Ausbauarbeiten die Häuser unbewohnbar. Deren Bewohner als bisherige Stammkundschaft sind in entfernten Unterkünften untergebracht. Seit Sommer 2021 fehlen außerdem die Touristen und Wochenendeinkäufer aus angrenzenden Großstädten. Die Folge ist ein massiver Nachfrageschwund, der teilweise über die Versorgung der Helfer ausgeglichen wurde.

Ein Problem für manches Gewerk sind längst auch „Hilfsangebote“ Externer an Flutbetroffene wie auch Helfer. So im Friseurhandwerk. „Warum soll ich als Kunde für eine handwerkliche Leistung zahlen, wenn sie einige Meter weiter für Null Euro oder ein kleines Spenden-Entgelt angeboten wird?“, bringt es Daniel Röber als Obermeister der Friseur-Innung Ahrweiler auf den Punkt. Der (nicht zu Ende gedachte) Solidargedanke wird so zum Bremsklotz für hochwassergeschädigte Betriebe, die nach wochenlangem Ausfall und intensiver, kostspieliger Wiederaufbauarbeit den Weg Richtung Normalität absolvieren wollen und müssen. Zumal die von angereisten Friseuren eingesammelten Spenden nach aktueller Rechtslage gar nicht in den Ahr-Betrieben ankommen. Denn Spenden können nicht vollständig an Unternehmen ausgezahlt werden, wenn hierfür eine Spendenquittung ausgestellt wurde.

Eine weitere Konsequenz der Ahr-Flut aus dem Sommer 2021: Einige Betriebsstätten wurden aufgrund laufender Reparaturarbeiten im Krisengebiet ganz geschlossen und zogen um an Ausweichstandorte, „was von der Kundschaft gut angenommen wurde“, berichten Augenoptikermeisterin Nora Nechad (Optik Schofer, Altstadt Ahrweiler) oder auch Marcus Sebastian, Sanitär- und Heizungsbauermeister aus Mayschoß. Er fand sein Ausweichquartier mit Unterstützung eines Malerunternehmens an dessen Sitz in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Auch Friseurmeisterin Nicole Leesch aus Antweiler musste reagieren und hat vom Salongeschäft umgestellt auf mobile Friseurdienste. „Von heute auf morgen ein ganz neues Arbeiten, aber die Kundschaft dankt es mir!“

Die Großzahl der 585 betroffenen Handwerksbetriebe macht weiter, doch auch diese Aussage spricht für den schweren und langen Weg aus der Krise: Würde sich das Hochwasserereignis des Sommers 2021 wiederholen, schließen 40 der befragten 50 Handwerksbetriebe eine weitere Existenz im Ahrtal aus.

Kontaktmöglichkeiten für betroffene Handwerksbetriebe zur HwK Koblenz:

Rechtsabteilung, Tel. 0261/ 398-200, recht@hwk-koblenz.de

Kammerbestätigung, Tel. 0261/398-260, handwerksrolle@hwk-koblenz.de

Betriebsberatung, Tel. 0261/ 398-251, beratung@hwk-koblenz.de oder hochwasserhilfe@hwk-koblenz.de

Vor-Ort-Ansprechpartner (Ahr-Akademie), Dennis Sisterhenn, Tel. 0261/ 398-285, dennis.sisterhenn@hwk-koblenz.de

 

HwK-Pressestelle

Jörg Diester

Jörg Diester
Leitung Pressestelle

Tel. 0261 398-161

joerg.diester--at--hwk-koblenz.de



Marcus Sebastian (Kläs + Sebastian Heizung und Sanitär, Mayschoß)
HwK Koblenz
Marcus Sebastian (Kläs + Sebastian Heizung und Sanitär, Mayschoß) musste den Betriebsstandort aus Mayschoß nach Bad Neuenahr-Ahrweiler verlegen und wurde hier durch ein Malerunternehmen aufgenommen. Sein sehnlichster Wunsch: Etwas mehr Normalität und auch mal Zeit für die zwei kleinen Kinder haben.

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Fleischermeisterin Sonja Leif aus Müsch konnte auf eine Versicherung zurückgreifen, die auch das Extremhochwasser im Sommer 2021 regulierte. Zügig wurde bewertet und ausgezahlt, der Laden wieder in Betrieb genommen.

Dachdeckermeister Mario Pitzen aus Insul
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Dachdeckermeister Mario Pitzen aus Insul verlor in der Flutnacht sein privates Wohnhaus, der Betrieb wurde stark beschädigt. In einer Lagerhalle in Hönningen richtete er sein Ausweich-Büro ein und organisiert von hier alle Abläufe. "Die Auftragslage ist sehr gut und es ging aus dem Stand nach der Katastrophe weiter."

Das Unternehmerehepaar Gies aus Dernau.
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